Der nachfolgende Beitrag entstand ursprünglich aus Anlass des 5. Geburtstags der Mädchenmannschaft im Spätsommer 2012.

Die Idee zu diesem Beitrag lag weit vor Halberstams neuem Buch Gaga Feminism: Sex, Gender, and the End of Normal, das diese Woche die kindles und Bücherregale erreichte. Nichtsdestotrotz ist es hoch willkommen, räumt es doch gründlich mit dem Vormütter-Töchter Mythos auf. Keinesfalls, so Halberstam, seien Töchter verpflichtet, in Dankbarkeit und Ehrfurcht zu den Gedankenwelten ihrer Mütter aufzuschauen, und erst recht gelte dies für ideelle Töchter.

Solcherart von der Vorstellung befreit, nur ordentlich genug erklären zu müssen, wo die feministische Kultur herkommt, und schon liege einer der gesamte Pop-Feminismus zu Füßen, lässt es sich befreit über feministische Utopien des letzten Jahrhunderts plaudern.
Der Wunsch, eine gerechtere Welt von morgen zu erdenken, Fantasien darüber, wie das Politische und das Persönliche zusammenhängen, die Suche nach guten, selbst bestimmten Medien …  … Feministinnen nutzen Vehikel und Nischen, schaffen Mainstream und verraten einige ihrer Vormütter, schaffen sich neue, scheinen sich immer wieder neu zu erfinden und graben doch mit erheblichem Elan auf der Suche nach irgendeiner Kontinuität in der Vergangenheit umher. Wie also wurden, kulturgeschichtlich, einige der jungen, neuen feministischen Ideen, mit denen die Mädchenmannschaft seit nun schon fünf Jahren Furore macht, in früheren Zeiten gedacht?

Sehnsucht nach Gerechtigkeit

Vielleicht gehört es zu dem, was Feminismus ausmacht: Die Suche nach einer besseren Welt, in der es … anders zugeht. Gerechtigkeit war so ein Wert, der immer dazu gehörte, auch Gleichberechtigung, saubere Umwelt, guter Umgang mit Mitgeschöpfen, Gleichstellung und vieles mehr. Und, noch ein vielleicht, die Zeit, aus der eigenen Geschichte einen Kult zu machen, sollte vorbei sein. Letztlich nämlich ist die eigene Geschichte nicht mehr (und nicht weniger!) – als eine Sicht auf die Weise, wie jede selbst im Gestern die Welt von Heute geschaffen hat, inklusive einem ganz persönlichen Blick auf das, was ihre Wurzeln ausmacht.
In den aufregenden Jahren nach 1968, als neue Räume für neue Gedanken entstanden, gehörte die Repräsentation von Frauen zu den revolutionären wieder-erwachten Politiken. Damals war es möglich, die Schule zu durchwandern, ohne mehr als ein oder zweimal den Namen einer Frau in einem bedeutenden Zusammenhang vernommen zu haben. Der Eindruck: Frauen gab es bis dato nicht, jedenfalls nicht öffentlich und nicht eigenständig. Ein Mädchen musste sich wundern, dass sie existiert (existiert sie wirklich?). Die zweite Welle des Feminismus hat also die Forderung nach gleichen Rechten für Frauen ins Zentrum gerückt, mitsamt ihrer Repräsentation in jeder Form der Öffentlichkeit.

Wie denken? Natürlich utopisch!

Spin-Doktorinnen der neuen Frauenbewegung wie die US-amerikanische Autorin Shulamith Firestone forderten die literarische Entwicklung les- und lebbarer Utopien für Frauen. Die Autorin Ursula K. LeGuin, die in den 1970ern in der westlichen Welt mit ihremPlanet der Habenichtse Furore machte, gehörte damals zu denjenigen, die feststellten, es sei Sache der Frauen, selbst, etwas gegen ihre schlechte Repräsentation in Literatur und Literaturwissenschaften zu tun.
Und wie sie es taten!
Ein Medium der 1970er und 1980er Jahre war die feministische Utopie, sowie, als zentraler Bestandteil des literarischen Diskurses, die feministische Literaturkritik. Tatsächlich wurden damals viele Themen vorgedacht, die heute im Zentrum queer-feministischer Debatten stehen: antirassistische Politiken gehören dazu, wie in Marion Zimmer-Bradleys Darkover-Zyklus oder Elisabeth A. Lynns Chroniken von Tornor. Sprache spielte eine wichtige Rolle, beispielsweise in den Native Tongue Romanen von Suzette Haden Elgin. Möglichkeiten und Grenzen nicht-hierarchischer Systeme wurden in zahllosen Romanen ausgetestet, am prominentesten vielleicht in Ursula K. LeGuins Planet der Habenichtse und Marge Piercys Frau am Abgrund der Zeit. Geschlechterrollen, Wechsel von Geschlechtsidentitäten finden sich ebenfalls häufig wieder, mitunter selbstverständlich und beiläufig wie bei Elisabeth A. Lynn oder dramatisch wie in Marion Zimmer Bradleys Schwarzer Schwesternschaft. Joanna Russ machte in ihrem Planet der Frauen das große Fass der Identitäten auf und arbeitete mit fluiden Realitäten und Repräsentationen. Ein Top-Thema war die männerfreie Reproduktion: Als Notbehelf in der feministischen Utopie schon seit Charlotte Perkins Gilmans Herland (1915) in der literarischen Welt, erlebten Vorstellungen zu extra-uterinen Schwangerschaften oder Parthenogenese im Science Fiction Hype der 1970er und 1980er ihre Hochzeit.
In der realen Welt hingegen mussten Konzepte wie in-vitro-Fertilisation, medizinisch assistierte künstliche Befruchtung oder Leihmutterschaft ihre Legitimation später bekanntlich als medizinische Hilfe für ungewollt kinderlose Hetero-Paare erwerben, bevor sie als Teil von Gleichstellung und Partizipation in queeren Szenen eingefordert wurden.
Familienkonzepte, infrage stellen von Geschlechterrollen und Care-Ökonomien wurden ebenfalls damals diskutiert, getestet, weiterentwickelt oder verworfen. So waren die feministischen Utopien in all ihrer Vielfalt Teil eines dezentralen Think-Tanks und haben ihren Teil dazu beigetragen, dass es für Feministinnen möglich wurde, das Unmögliche zu verlangen.

UNMÖGLICHES VERLANGEN

Und die Mädchenmannschaft? Wie schafft sie es, so ganz ohne literarisch-utopische Spielplätze im Hier und Jetzt ihr unmögliches Verlangen zu formulieren?

Utopische Literatur tritt periodisch auf, manche sagen, dass sie als Rahmenbedingungen Wünsche und Sehnsüchte benötigt, die von Hoffnung ebenso befüttert werden wie von Angst. Wechselzeiten also, mit Wechselstimmungen, getragen von sozialen Bedingungen, ohne dass schon ganz klar ist, wo es hingehen soll.

Hinzu kommt: Der Zugang zu Medien ist ein privilegierter, und ebenso wie feministische Literaturkritik sich zu selten mit denen befasst hat, die Büchern fern sind, kommt die kritische Auseinandersetzung mit der begrenzten Reichweite feministischer Blogs selten über das Stadium ihrer Benennung hinaus. In anderen Bereichen waren die Mannschaftsmädchen erfolgreicher: Die Blicke auf den Körper haben sich geändert, auch verbunden mit einer Aneignung neuer Widerstandsformen wie Slutwalks. Feminismus ist witziger geworden, und verabschiedet sich mit seiner Ablehnung von Sexismen, Agismen, Rassismen und so weiter auch aus der alten Mann-Frau-Dichotomie, die vorangegangene feministische Wellen stark geprägt hat.

Eine Geschichte der Geschlechterkämpfe

Gleichwohl bleibt die Geschichte auch eine Geschichte der Geschlechterkämpfe, und Träume von einer besseren, gerechteren Zukunft werden Generation für Generation von Frauen neu erfunden. Sie manifestieren sich in den kulturellen Werkzeugen ihrer Zeit, sei es die feministische Utopie oder das Internet-Blog. So findet sich auch die Mädchenmannschaft ihre Koordinaten im feministischen Raum-Zeit-Kontinuum und einer oder zwei von zahllosen denkbaren Bögen spannen sich zwischen der feministischen Utopie der zweiten Frauenbewegung und den jungen Bloggerinnen von heute.
Halberstam übrigens, um auch für diesen Beitrag einen Bogen zu finden, erfindet den Gaga Feminismus, der die bisherigen Vorstellungen von Geschlechtergrenzen überwindet, auch für jede Einzelne: „

„Was, wenn jemand das Leben als Junge beginnen würde aber ein Jungemädchen würde und dann ein Junge / Mann? Was, wenn einige Männer Damen sind, einige Damen butch, einige Butches Frauen sind, einige Frauen Lesben, einige Lesben feminin, einige Femmes hetero und einige Heteros nicht wissen, was zum Teufel vor sich geht?““

Die Perspektive, nicht mehr die zugeschriebene Eigenschaft (alt, Migrantin, Mann, behindert …) zu benennen, sondern gleich zu sagen, worum es geht, ist jedenfalls eine, für die eine neue Bewegung literarischer feministischer Utopien ziemlich hilfreich wäre, auch mädchenmannschaftsmäßig. Oder wir erfinden neue Formen von Denkwerkstätten, am besten gleich heute.