Wann mein Rückgrat gerade ist, bestimme ich allein – Lesben und Politik (2006)

„Es dauerte eine Weile, bevor uns klar wurde, dass unser Ort das Haus des Andersseins selbst war und nicht die Sicherheit eines einzelnen Unterschieds“ (Audre Lorde)

AgnesDiversityTeaserBegriffsklärungen am Anfang eines Workshops sind eine ziemlich müßige Angelegenheit, denn häufig genug führe sie zu Streit und nehmen die für die Veranstaltung geplante Diskussion voraus – alternativ statt additiv.

Im besten Fall schaffen sie die Illusion einer Verständigung über den Gebrauch von Begriffen. Während bei „Politik“ bereits nachhaltig bekannt ist, dass jede anderes darunter versteht, scheint der Begriff „Lesbe“ eine einigermaßen klar umrissene Gruppe von Menschen zu umfassen. Auf den ersten Blick. Tatsächlich hat die Auseinandersetzung darum, wer oder was eine Lesbe ist (und wer oder was nicht!) schon ganze Szenen zerlegt und ist Jahr für Jahr Diskussionspunkt bei den Lesbenfrühlingstreffen.

Ein Teil des Textes ging ein in die Dokumentation eines Workshops gleichen Titels auf der Tagung „Lesbischer Herbst„, 10. bis 12. November 2006

Gerade wegen der Abgrenzungen lesbisch – hetera – bi und der zunehmenden Unsicherheit in Bezug auf strikte Zweigeschlechtlichkeit (Frau, Mann und sonst gar nix) ist die Queer Theory eine heiß diskutierte Fortentwicklung der emanzipatorischen Bestrebungen vergangener Jahrzehnte. Heiß diskutiert deshalb, weil sie einigen als Heilslösung erscheint, für andere dagegen eine Bedrohung ihrer schwer erkämpften (lesbischen) Identität ist. Kritikerinnen nehmen Queeres als gleichmachend wahr und sind besorgt über den Verlust von Identifikationskategorien.

Schon wieder Grenzen: Queer Theorie vs. lesbischer Feminismus?

Die Queer Theory nehme ich selbst zwar manchmal als unzureichend, aber nicht bedrohlich wahr – abgesehen davon, dass jede Weiterentwicklung oder Neuerung etwas Bedrohliches hat, weil sie sicher Geglaubtes in Frage stellt.

Antke Engel, freie Wissenschaftlerin und Philosophin, Gründerin des Hamburger Queer Insitituts, befasst sich mit feministischer Theorie und Queer Theorie auf ziemlich lesbische Art. Sie schreibt, sie habe

„die homophile Anerkennung innerhalb der FrauenLesbenbewegungen genießend tunlichst darauf verzichtet, mit dem Begriff Lesbe im Sinne einer Identitätskategorie zu operieren und jede polemisch herausgefordert, die zu wissen meinte, was eine Lesbe sei. Denn jedes Sprechen im Namen von Lesben produziert Ausschlüsse und gesteht einer begrenzten (selbst-)ermächtigten Gruppe die Definitionsgewalt über eine vorgebliche Gemeinschaft zu, entlang derer Zugehörigkeiten reguliert und gerechtfertigt werden. (…) Ich, die ich noch vor kurzem bemüht war, Lesbenforschung ohne ‚Lesbe‘ zu betreiben, erwische mich dabei, mich exzessiv als Lesbe zu inszenieren und starrköpfig in die Queer Theory eine Differenz einführen zu wollen“.[1]

Die Formulierung „Lesbenforschung ohne Lesbe“ fasziniert mich, denn genau so ist das mit der „Lesbenpolitik ohne Lesbe“ – wenn das mit der Gruppenidentität fehlt, an deren Schaffung jede beteiligt ist, die sich dafür interessiert.


Lesbisches Handeln im politischen Kontext

Die Lesbe im politischen Kontext ist ein ziemlich bewegliches Subjekt, gekennzeichnet wie jedes politische Subjekt und die Politik selbst durch ständige Veränderung. Politik für Lesben zu gestalten, ist daher fast unmöglich – lesbisch-sein erscheint im politischen Kontext ebenso kontingent und flüchtig wie politisches Handeln im lesbischen Kontext.

Die Suche nach der verbindenden lesbischen Identität ist daher spätestens seit Beginn der Nach-68er FrauenLesbenbewegung immer wieder ins Zentrum gerückt:


„Ein roter Faden, der sich durch die theoretischen und politischen Debatten zieht, ist die Auseinandersetzung um Identität und Differenz, um die Anerkennung von Unterschieden und die Frage nach (gemeinsamer) politischer Handlungsfähigkeit.“[2]

Nicht zufällig fiel die Queer Theorie mit ihrem de-konstruierenden Ansatz auf fruchtbaren Boden und provozierte Reaktionen jeder Richtung. Während in den 1970er und 1980er Jahren das Bestreben innerhalb der FrauenLesbenbewegung dahin ging, die eigene Homosexualität sichtbar zu machen und eine feministischen Lesbenidentität zu bilden, legte die spätere Betonung von Differenz und Mehrfach-Identitäten den Grundstein für die seit den 1990er Jahren geführten Debatten zur Dekonstruktion von Geschlecht. Verbunden damit war und ist ein erneutes Infragestellen von Identität.


Dekonstruktionen

Die Dekonstruktion von Identität kann stark verunsichernd wirken. Sie stellt – zumindest auf den ersten, zweiten Blick – die Legitimität von Lesbenforschung als Identitätsforschung in Frage. Sie stellt auch die Legitimität von Politik für Lesben in Frage, selbst unter dem Gesichtspunkt, dass zu den Aufgaben politischen Handelns gehört, Strukturen für diejenigen zu schaffen, die sich nicht laut äußern und denen Protestformen wie Widerstandscamps, Demonstrationen oder gezielte Aktionen fremd sind.

Die Folge ist, dass nur sehr grundlegende formale und rechtliche Entwicklungen erfolgen können, für die allgemeine Aussagen über Differenz ausreichen. Hierzu zählt das Lebenspartnerschaftsgesetz ebenso wie die auf europäischer Ebene erreichten Antidiskriminierungsvorschriften. Spezifische gesellschaftliche Fortschritte, die sich an der Lebenswirklichkeit und an der Selbstwahrnehmung von Lesben orientieren, werden so lange scheitern, wie es keine klar formulierte Gruppenidentität mit ebenso klaren Forderungen und Ansprüchen gibt.

Differenz und Ähnlichkeit – Lesben, Heteras und die schwule Welt

Das Verhältnis zwischen Lesben und heterosexuellen Frauen, auch feministischen heterosexuellen Frauen, ist komplex und schwierig. Die alten Slogans „jede Frau ist eine potentielle Lesbe“ oder „Feminismus ist die Theorie, Lesbianismus die Praxis“ helfen nicht weiter. Sie machen die eigene Geschichte gering, ebenso die Geschichte der Lesbenbewegung und nicht zuletzt die Geschichte jeder einzelnen heterosexuellen Frau. Der Slogan war ein rhetorisches Instrument, das die Diskussion des lesbischen Feminismus auch im Mainstream ermöglichte, aber bei der Betrachtung der eigenen Biografie geht es nicht nur um Rhetorik.

Auch das Verhältnis zwischen Lesben und schwulen Männern ist nicht einfach. Die gemeinsamen Interessen halten sich in Grenzen, gleichzeitig gibt es eine wesentliche Übereinstimmung in der Erfahrung, als Gruppe marginalisiert zu werden. Daher gilt es – vom Blickwinkel erfolgreichen politischen Engagements aus betrachtet – sehr behutsam mit der öffentlichen Distanzierung von anderen Bevölkerungsgruppen umzugehen.

Joan Nestle hat den Konflikt zusammengefasst:

„Die lesbische Reinheit, eine öffentliche Wahrnehmung, die uns in einen Mantel monogamer Langzeitbeziehungen einhüllt, diskreter Zusammenkünfte im häuslichen Umfeld und der Drang, die Familie neu zu erschaffen, helfen keiner. Sie werden weder der Wahl gerecht, die sie hochzuhalten vorgeben, noch der sexuellen Unabhängigkeit von Lesben. (…) Wenn wir zulassen, als die guten Abweichlerinnen dargestellt zu werden, die respektablen Abweichlerinnen, verlieren wir mehr als wie jemals gewinnen können. Wir verlieren die Komplexität unseres eigenen Lebens, und wir verlieren eine wichtige Erkenntnis: man lässt die eigenen Leute nicht hängen, wenn nach Schuldigen gesucht wird. Wenn wir Lesben sagen, dass wir wegen des Unterschieds in der sexuellen Orientierung verfolgt werden, während wir auf der anderen Seite reklamieren, nicht so unterschiedlich zu sein wie die anderen, wird die Beteuerung, wir seien alle Opfer sexueller Unterdrückung, eigennützig.“[3]

Gleichzeitig kommt es darauf an, Differenz zu erkennen, sie zu identifizieren, zu benennen, zu bewerten und Veränderungsbedarf daraus abzuleiten.

Vorbilder

Als Vorbilder suchten sich Herstorikerinnen der FrauenLesben-Bewegung die Urgroßmütter der 1. Frauenbewegung aus oder die widerständigen Frauen gegen den Nationalsozialismus aus der Müttergeneration oder kämpferische – oft wenig ältere – Frauen aus den Befreiungsbewegungen in den Ländern der Dritten Welt. zu schweigen von den Umdeutungen vor- und frühgeschichtlicher Funde, die in ihrer Abenteuerlichkeit der männlich-patriarchalen Geschichtschreibung kaum nachstanden. In jedem Fall waren diese Vorbilder Frauen, die zeitlich oder räumlich entfernt waren. Gerade lesbische Vorbilder wurden euphorisch entdeckt und ausgegraben – damals selten als „zwiespältige Ahninnen“, sondern um die Geschichte der Liebe zwischen Frauen sichtbar zu machen. Nicht zufällig wurde das Konzept der „Schwesterlichkeit“, der Sisterhood, als Alternative zum Mutter-Tochter-Konzept favorisiert, das mit der Vorstellung von Machtunterschieden behaftet war. Der Umgang mit Macht spiegelt eine der großen Ambivalenzen der FrauenLesbenBewegung: Verhaftet in antiautoritärer Ablehung von Hierarchien beklagt sie gleichzeitig Macht- und Einflusslosigkeit. Eine stolze, machtvolle, selbstbewusste Position ist für die Objekte der Matriarchatsforschung erwünscht, in der eigenen Umgebung jedoch nicht. Tatsächlich ist die Auseinandersetzung über Macht und über den Umgang mit Macht in Entscheidungspositionen eine „no-go-area“, ein Minenfeld. Kaum ist es möglich, Fragen zu stellen wie:

  • Wie sollte die Frau aussehen, die für uns eine Bedeutung hätte wie Klaus Wowereit oder Ole von Beust für die schwule Community?
  • Wo sollen die Frauen herkommen, die in der Lage wären, diese Politikerin zu unterstützen und zu fördern statt an ihr herumzumäkeln und sie herunterzumachen – auch, wenn sie mal anderer Meinung ist, auch, wenn sie sich über sie geärgert haben?
  • Wie gehen wir mit ihrer Macht um? Und wie schaffen wir es, uns für ihre Siege zu freuen und für sie mit stolz zu sein, anstatt uns klein zu fühlen und sie schnell wieder klein machen zu wollen?

 

Jede Generation scheint mit der «Bearbeitung» der Frauenfrage, mit der Entwicklung eines (lesbisch-) feministischen Denkens, (lesbisch-)feministischer Politik und (lesbisch-) feministischer Geschichte noch einmal neu zu beginnen. Stimmt das, oder wie findet eine Vermittlung statt? Wie beeinflussen sich das Alter von Frauen und die jeweiligen historisch-gesellschaftlichen und kulturellen Lebensbedingungen, denen ja immer mehr als nur eine Generation gleichzeitig ausgesetzt ist?

Lesbische Interessen und schwule Interessen: Beispiel Lebenspartnerschaft

Lesbische Interessen sind nicht identisch mit schwulen Interessen – nicht einmal, wenn es um Fragen wie Lebenspartnerschaft geht. Frauen sind von sehr vielen (fast allen) gesetzlichen Regelungen potentiell anders betroffen als Männer. Warum sollte das bei der Lebenspartnerschaft anders sein?

  • Frauen haben im Vergleich zu Männern weit niedrigere Einkommen. Deshalb würden lesbische Paare von einer steuerlichen Gleichstellung mit Ehen weitaus weniger profitieren als schwule Paare. (Bei Frauen ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie ohnehin geringere Steuern zahlen)
    Auch von höheren Freibeträgen bei der Erbschaftsteuer profitieren diejenigen, die überhaupt etwas zu vererben haben – also weniger Frauen als Männer.
  • Frauen haben im Vergleich zu Männern weit niedrigere Renten. Deshalb kann ein Versorgungsausgleich nach einer Trennung Existenz gefährdende Auswirkungen haben.
  • Lesbische Frauen haben häufiger Kinder als schwule Paare. Deshalb wirken sich alle Änderungen in Bezug auf Sorgerecht, Adoption und Unterhalt unterschiedlich aus.

Das muss nicht unbedingt schlecht sein, „unterschiedlich“ bedeutet erst einmal keine Wertung. Aber: Wir sollten uns der Unterschiedlichkeit bewusst sein, sie bewerten und gegebenenfalls konkrete lesbenspezifische Forderungen entwickeln.

Unterstellt, Lesben hätten sich der Mühe unterzogen, gezielte Lobbyarbeit für eigene Schwerpunktsetzungen bei der Lebenspartnerschaft zu betreiben, wäre vermutlich andere Prioritäten gesetzt worden: vollwertiges gemeinsames Adoptionsrecht und Absicherung im Alter und bei Krankheit beispielsweise.

Lesbische Interessen und feministische Interessen: Beispiel Gewaltschutz

Die Selbstorganisation feministischer Projekte macht politische Intervention schwierig.

Selbstorganisierte Frauenhäuser und Beratungsstellen gegen häusliche Gewalt dazu zu zwingen, auch lesbische Belange zu vertreten, ist nahezu unmöglich. Wenn eine Einrichtung beispielsweise in ihrer Satzung festlegt, dass sie sich dem Schutz von Frauen gegen Gewalt durch Männer widmet, ist die Lesbe, die in ihrer Beziehung von häuslicher Gewalt betroffen ist, ausgegrenzt. Das gleiche gilt, wenn das Frauenhaus, an das sie sich wendet, zwar „grundsätzlich“ keinen Unterschied zwischen Lesben und heterosexuellen Frauen macht, jedoch auch keine fachliche Kenntnis von möglichen Unterschieden hat. Sie hat die Wahl, ihre Identität zu verschweigen oder anderweitig Unterstützung zu fordern … oder auf Unterstützung zu verzichten.[4]

Natürlich wäre eine mögliche Forderung, zusätzliche Beratungsangebote ausschließlich für Lesben, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, einzurichten. Es ist aber eine sehr unrealistische Forderung – eine, auf die ich mein Engagement auch nicht konzentrieren wollte: weil ich die Forderung für inhaltlich falsch, politisch undurchsetzbar und nicht finanzierbar halte.

Lesbische Interessen und frauenpolitischer Mainstream: Beispiel Frau und Beruf

Die Situation von Wiedereinsteigerinnen, die nach mehrjähriger Familienpause eine Rückkehr in den Beruf planen, geht an der Situation der meisten Lesben weit vorbei:

  • weil Lesben bislang seltener Kinder haben – allerdings nimmt die Zahl lesbischer Paare, die gemeinsam Kinder und Familie planen, zu,
  • weil Lesben, wenn sie Kinder haben, selten Alleinverdienerinnen-Lebenspartnerschaften als Lebensweise wählen,
  • weil sie entweder aus einer Ehe ausgestiegen sind (und damit keine explizit lesbische Anforderung an die Beratung stellen, sondern die übliche nach-Ehe-Anforderung) oder
  • weil sie nie davon ausgegangen sind, dass Ehe für sie eine Alternative zur Berufstätigkeit sein könnte.

Also könnten die umfangreichen Beratungsangebote für Familienrückkehrerinnen Lesben ziemlich egal sein … wäre da nicht der Umstand, dass ein Großteil der Fördergelder aus dem Frauenbereich in diese Angebote geht: Angebote, die wegen der zu Grunde liegenden anderen Lebenssituation viele nicht lesbische Frauen ausgrenzen und darüber hinaus fast alle Lesben.

Ähnliches gilt für die kommunalen Frauenbeauftragten, die es in einigen Bundesländern noch gibt. Lesbische Lebensweisen sind für sie meist kein Thema, hierfür gibt es zahlreiche Gründe.

Übrig bleibt die Tatsache, dass öffentliche Mittel zur Unterstützung der Belange von Frauen häufig Lesben ausgrenzen – absichtlich oder aus Unkenntnis.

Das Lesbische an Alltagssituationen

Die Frage, die zur Vertretung lesbischer Interessen von zentraler Bedeutung ist, ist: Was genau ist in und an einer Situation das Lesbische?

Lesben sollten sich der Mühe unterziehen, sich auf eine Position zu verständigen. Tun sie es nicht, werden dies entweder andere für sie erledigen (und damit möglicherweise einiges anders gewichten) oder eben nicht (und damit lesbische Belange unberücksichtigt lassen).

Ohne dieses Wissen lassen sich die lesbenrelevanten Themen nicht identifizieren. In der Folge wird es keine Lösungen geben, mit denen Belangen von Lesben Rechnung getragen wird. Für strategische Allianzen gibt es keine Partnerinnen und Partner, wenn die eigenen Forderungen nicht klar und offen dargelegt werden. Fortschritte wären dann Zufälle – die Berücksichtigung lesbischer Belange einer Beliebigkeit anheim gegeben.

 

Repräsentation auf der einen Seite (das sichtbare Vorkommen von Lesben in der Politik) und die Realisierung andererseits (das angewandte Fachwissen über lesbische Belange) sind keineswegs identisch.

Das ist wie in anderen Politikbereichen:
Frau zu sein beinhaltet keine Expertise über z.B. Lohndiskriminierung, Zwangsprostitution, Frauenförderpläne, geschlechtersensible Didaktik und so weiter.
Wer hoch verschuldet ist, qualifiziert sich nicht allein dadurch für den Posten der Finanzministerin.
Die irrige Einschätzung, Eltern seien von selbst zur Erziehung von Kindern befähigt, kostet die Gesellschaft Milliarden, kostet viel zu viele Kinder psychische Gesundheit, physische Gesundheit oder das Leben.

Fachkenntnisse und Sein, Sein und Fachkenntnisse … der Zusammenhang ist nicht zwangsläufig.

Repräsentation ist nicht gleich Ressource oder Realisierung

Nur zu oft setzen sich Lesben in der Politik nicht für lesbische Belange ein, nicht einmal dann, wenn diese Belange klar identifiziert sind.
Wer sich für lesbische Belange einsetzt sind Politikerinnen und Politiker, für die Gerechtigkeit grundsätzlich eine große Rolle spielt, es sind wenige schwule Politiker und es sind Politikerinnen und Politiker, die eine oder mehrere Lesben kennen.

Zu den bewundernswerten weinigen Ausnahmen, bei denen Sein, Bewusstsein und Fachexpertise zusammenkommen, gehört die bayerische Europaabgeordnete Lissy Gröner, www.lissygroener.de

Es geht bei Politik für Lesben nicht um Lesben. Es geht um eine Verständigung darüber, wie lesbische Interessen operationalisiert werden: Um die ständige Rückkopplung, was lesbisch an einer konkreten Situation ist, und wie sich dieser oder jener Umstand auf Lesben auswirken könnte. Nicht auf jede Lesbe, aber auf etwas Lesbisches im Lesbenleben.

Lesben in der Politik

In allen Politikfeldern sind immer nur einige wenige, die sich kontinuierlich und auf hohem Niveau für andere einsetzen. Die wenigen, die das tun, sind (defensiv gesagt) in einer Sandwich-Position oder (die offensive Variante) kämpfen an zwei oder mehr Fronten gleichzeitig. Um die Interessen von Lesben vertreten zu können, ist es notwendig, sie zu identifizieren. Den „Staat“, die „Verwaltung“ oder die „Politik“ dafür verantwortlich zu machen, dass sie etwas unterlassen, von dem sie nicht wissen können, dass es notwendig ist, mag reizvoll sein. Aus meiner Sicht gehört das eher in die Trotzphase.

Es ist nicht besonders wichtig für die Vertretung lesbischer Interessen, dass Lesben in politischen Positionen sitzen. Das ist dafür eigentlich ganz egal. Wichtig ist, dass die Forderungen identifiziert sind und dass sie auf geeignete Weise dorthin transportiert werden, wo die Entscheidungen fallen.

Allerdings ist es wichtig für das Bild der Lesbe in der Öffentlichkeit, dass profilierte lesbische Frauen in politischen Positionen sitzen. Und für die Frauen selbst, die sich für eine politische Karriere entscheiden, ist das – natürlich – auch wichtig. Es gibt in Europa wenige offen lesbische Politikerinnen auf nationaler oder europäischer Ebene. Einige von ihnen sind:

  • Lissy Gröner, die Europaabgeordnete aus Nordbayern.
    Viel offener lesbisch sein als Lissy Gröner kann keine. Sie ist im Kulturausschuss des europäischen Parlaments und sie ist im im Ausschuss für die Rechte der Frau und Chancengleichheit Koordinatorin für die Fraktion der sozialdemokratischen Partei Europas. Als sie 2005 ihre Lebensgefährtin in Brüssel heiratete – aus Protest gegen das unzureichende deutsche Lebenspartnerschaftsgesetz – war das ein Politikum, ob sie wollte oder nicht. Lissy Gröner war eine Zeitlang Vizepräsidentin der Gay and Lesbian Rights Intergroup im Europäischen Parlament.
  • Sibyll Klotz, Abgeordnete im Berliner Abgeordnetenhaus. Sie war zweimal Spitzenkandidatin für die Bündnis 90/Die Grünen, war von 1999 bis Oktober 2006 Fraktionsvorsitzende und ist arbeitsmarktpolitische und frauenpolitische Sprecherin der Fraktion.
  • Ulrike Lunacek ist Abgeordnete zum österreichischen Nationalrat und Mitglied der Grünen Österreichs.Sie ist Obmannstellvertreterin im außenpolitischen Ausschuss des Nationalrats, außen- und entwicklungspolitische Sprecherin der Grünen, sowie Sprecherin für die Gleichstellung von Lesben, Schwulen und Transgenders. Als erste offen lesbische Politikerin im Nationalrat ist sie auch Mitglied der Grünen Andersrum. Im Mai 2006 wurde Lunacek in Helsinki zur Sprecherin der Europäischen Grünen Partei gewählt.
  • Sophia in’t Veld ist Vizepräsidentin der Gay and Lesbian Rights Intergroup im Europäsichen Parlament. Die holländische Europaabgeordnete für „Democraten 66“ ist im Ausschuss für Wirtschafts- und Finanzpolitik.
  • Jean Lambert sitzt für die englische Green Party im Europaparlament, sie ist im Ausschuss für Arbeit und Soziales und befasst sich neben Arbeitsmarktpolitik mit Anti-Diskriminierung und sozialer Inklusion.

Dann sind da noch Margot James, die für die konservative Partei im Stadtrat des Kensington/Chelsea-Bezirks sitzt, Linda Bellos, schwarz, jüdisch und lesbisch, Labour-Politikerin und 1981 die erste schwarze Frau, die ins SpareRib Kollektiv aufgenommen wurde, die sozialdemokratische schwedische Reichstagsabgeordnete Elisebeht Markström als erste offen lesbische Abgeordnete, seit 2006 ist Catrine Norrgård von der liberalen Volkspartei ebenfalls dabei, die Abgeordnete der dänischen Volkspartei Luise Frevert, die frühere hessische Kultusministerin Karin Wolff und mit Sicherheit weitere, hier nicht genannte.


Warum kennen wir sie nicht und warum werden diese Frauen nicht die Vorbilder und Identifikationsfiguren der Lesbenbewegung?

Und würden wir sie wählen?


Macht und Solidarität

Lesben, die sich für andere einsetzen, werden lernen müssen, damit zurechtzukommen, dass es von den eigenen Leuten wenig Anerkennung dafür gibt, im Gegenteil. Das ist misslich … aber von der einzelnen nicht zu ändern. Sich über die eigenen gemeinsamen Forderungen zu einigen, wäre ein guter erster Schritt. Diese Forderungen aufrechtzuerhalten und nicht alle vier Wochen neue auszudenken, wäre ein sehr guter zweiter Schritt. Frauen müssen endlich lernen, dass, wenn wir mehr Zeit damit verbringen, andere Frauen herunterzumachen, wir dazu beitragen, dass die Männer gewinnen, denn die werden nicht heruntergemacht.

Lesben brauchen ein entspanntes Verhältnis zur Macht und das Vertrauen, dass es richtig ist, wie andere Frauen sie gebrauchen.

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Quellen

Ilona Bubeck (Hrsg.): Unser Stück vom Kuchen?, Zehn Positionen ggen die Homo-Ehe, Berlin 2000

Antke Engel: Verqueeres Begehren, in: Sabine Hark (Hrsg.): Grenzen lesbischer Identitäten, Berlin 1996

Lena Laps: „Den Bogen weiterspannen?! – Vielfalt als politische Herausforderung – „; Vortrag auf der Tagung „Reif für die Vielfalt?!“, 2005 (Download: http://www.donnaklara.de/psycho/tagung05/laps.pdf)

Joan Nestle: A Restricted Country, San Francisco 1987 (2003)

Constanze Ohms / Karin Müller: Gut aufgehoben? Zur psychosozialen Versorgung lesbischer Frauen mit Gewalt- und oder Diskriminierungserfahrungen im europäischen Vergleich“, o.J.

 


[1] Engel, 1996
[2] Laps, 2005
[3] Vergl. Joan Nestle: Some Understandings, 1997 (2003), S. 118f
[4] Vergl. Ohms, Müller