In dem Gespräch, das Mark Tiedemann für die Leseinitiatve ReadMOre mit Ursula K Le Guin führt, geht es um die Bedeutung, die ihr Science Fiction Roman Planet der Habenichtse (orig: The Dispossessed) für viele Menschen bis heute hat – und um deren Wandel. Das Buch war ursprünglich 1976 erschienen und hat die gesellschaftlichen und revolutionären Gedanken ganzer Generationen mit geprägt.
Ursula K. Le Guin Interview from Jefferson County Library on Vimeo.
Ursula K. Le Guin diskutiert die marxistischen Aspekte der zweischneidigen Utopie. Sie spricht über Ambiguität, über Besitz an Dingen, Gedanken und Symbolen … und über Wahrheit. Die technische Qualität des Videos ist leider nicht gut, aber der Inhalt ist einfach wunderbar.
Vor rund 20 Jahren habe ich über die Sprachkonzepte in diesem Roman eine Arbeit an der Hochschule geschrieben. Mich hat die Geschichte nie losgelassen, und das geht vielen Menschen so. Letzten Herbst beispielsweise tauchte das utopische Arbeitskonzept, das Le Guin für den Roman entworfen hat, unverhofft bei einer Veranstaltung zur Finanzmarktkrise auf: (gute) selbstbestimmte Arbeit (die mit dem Wort für „Spiel“ bezeichnet wird) im Gegensatz zu (schlechter) Plackerei.
[Hier eine knappe Inhaltsangabe des Romans]
Während Le Guin in ihrem 1967 geschriebenen Roman Der Winterplanet (The Left Hand of Darkness) eine alternative Gesellschaft auf feministischer Basis entwickelte, die wenig subtil von der von ihr kritisierten amerikanischen Wirklichkeit der sechziger Jahre und deren geschichtlicher Grundlage abgegrenzt war, sind die historischen Antagonismen in Planet der Habenichtse (The Dispossessed) sowohl jeweils systemintern wie im Vergleich beider Gesellschaftssysteme vielschichtiger und selbstkritischer. In Der Winterplanet, auf dessen erzählerischer Grundlage später Planet der Habenichtse entwickelt wurde, setzt Le Guin drei Grundprämissen fest: das Fehlen kriegerischer Aktivitäten, das Fehlen der Ausbeutung sowie das Fehlen der Sexualität als festgelegter Sozialfaktor.
In Planet der Habenichtse konkretisiert Le Guin ihr Anliegen. Sie beschreibt zwei Gesellschaftssysteme: eine in die Zukunft verlängerte Dystopie der US-amerikanischen Gesellschaft auf dem Planeten Urras auf der einen und die aus einer anarchistischen sozialen Bürgerbewegung hervorgegangene autonome Kolonie auf dem Schwesterplaneten Anarres auf der anderen Seite. Entwickelt wird durch den Gegensatz beider Gesellschaften eine Utopie dessen, was soziale Bewegungen auf dem nordamerikanischen Kontinent erreichen könnten. Dabei ist Anarres keine reine Utopie und Urras keine reine Dystopie: Schwachstellen der anarchistischen Gesellschaft werden genauso wie Vorzüge der kapitalistischen von Shevek reflektiert und berichtet.
Ursula K Le Guin versucht mit ihrer Literatur Unterschiede zwischen Wissenschaft und Kunst herauszuarbeiten – mit der Gratwanderung, die von Science Fiction erwartet wird. Wissenschaft, sagt sie, habe die Aufgabe, Paradigmen zu überwinden. In der Kunst dagegen geschähen die Revolutionen nicht so häufig. Science Fiction Leserinnen und Leser seien sehr, sehr kritisch und ein großartiges Publikum, das die Autorin auch fordere und mit den Autorinnen und Autorinnen eine große Community bilde.
„Ich habe immer geschrieben was ich schreiben wollte“,
sagt sie. Das habe es schwierig gemacht.
„Verleger haben gesagt: Ich mag es sehr, aber ich habe keine Ahnung, worüber du eigentlich schreibst. Ich bin dann woanders hingegangen.“
„Ich kann gar nicht sagen wie froh ich bin, dass kein Verlag meinen ersten Roman angenommen hat, im Nachhinein.“
Der Planet der Habenichtse, sagt Le Guin, sei schwierig zu verkaufen gewesen. Ihr damaliger Verleger habe ihr vorgeschlagen, die Geschichte auf die Hälfte einzukürzen. Auch damals sei sie woanders hingegangen.
Sie sei nicht Shevek, ihr Protagonist, sagt sie:
„Er ist ein Anarchist, ich nicht. Ich beispielsweise halte sehr viel von Copyrights.“
Copyright sei ein spannendes Thema in Bezug auf Besitz, sagt Le Guin:
„Du darfst es kopieren, du darfst es lediglich nicht verkaufen. Das macht es so interessant. (…) Jetzt mit dem Internet sind die Kopien viel zu einfach möglich. Vor allem sind sie oft so lausig schlecht, sie wimmeln vor Fehlern!“
In Planet der Habenichtse gibt Shevek schließlich seine Bahn brechende Erfindung als Geschenk fort.
„Arme Menschen tun sich leichter damit, Dinge zu teilen als Reiche. (…) Teil des Problems mit (dem kapitalistischen) Urras ist, dass sie dort sehr sehr reich an Ressourcen sind. Sie haben lediglich nicht verstanden, wie sie es teilen sollen.“
Sprechen über Gegenstände, die auf Urras privater Besitz wären, auf Anarres jedoch Allgemeinbesitz sind, unterscheidet sich maßgeblich. So spricht Sadik, Sheveks und Takvers Tochter, nicht von ihrem Taschentuch, sondern sie sagt: „You can share the handkerchief I use“. Ähnliches gilt für die Bezeichnung des Verhältnisses zwischen Personen. Takver stellt Sadik Shevek nicht etwa mit den Worten „Sadik, this is your father“ vor, sondern sie sagt: „Sadik, this is Shevek“. Auch Rulag sagt Shevek bei ihrem Krankenbesuchauf seine Frage hin, wer sie sei, nicht, sie sei seine Mutter, sondern sie ist „the mother“. Vielleicht gehören auch die Fragen von Mutter-Kind Beziehungen mit wechselseitigen Abhängigkeiten zu den feministischen Eckpunkten, die in den 1970ern, als Planet der Habenichtse geschrieben wurde, im Zentrum standen, inzwischen jedoch postfeministischem Liberalismus gewichen sind.
Schwierig, sagt Le Guin, sei der Schluss gewesen. Sie habe den Schluss offen lassen müssen. Tatsächlich habe in diversen Romanen, die sie vor Planet der Habenichtse geschrieben habe und in einigen danach die Erfindung Sheveks und ihre allgemeine Nutzung eine wichtige Rolle gespielt: Das Konzept des Verschenkens sei also aufgegangen. Alles andere habe sie dem Publikum überlassen müssen.
„Ich habe wie Shevek, lange, lange daran geglaubt, dass ich die Welt verändern könnte, dass ich es anders machen könnte, wenn ich es nur „richtig“ machen würde. Das Problem schien nur darin zu bestehen, was „richtig“ ist.“
Science Fiction, sagt Le Guin, eröffne gerade jungen Menschen erst die Option zu denken, dass die Dinge nicht so sein müssten, wie sie seien, sondern auch ganz anders sein könnten.
Vielen Dank an Nicola Griffith für’s Finden des Interviews!
Alle Ursula K Le Guin Zitate stammen aus dem Interview von Mark Tiedemann für die Leseinitiatve ReadMOre, Übertragung ins Deutsche von mir.