7 Die Protagonistin in ihrem sozialen und politischen Umfeld
Die Protagonistinnen der untersuchten Utopien sind weit davon entfernt, ständig mit der Analyse der dystopischen Situation und Maßnahmen zu deren Überwindung beschäftigt zu sein, wenngleich dies einen wichtigen Bestandteil ihrer Identität ausmacht. So hilft beispielsweise auch die fundierteste Kritik an den Männern der Linien den Frauen in Native Tongue kaum dabei, alltägliche Konflikte mit ihnen zu bewältigen; hier sind individuelle, flexible Lösungen und Strategien gefragt. Ebenso mag die Vision der utopischen Gesellschaft vielfältige Träume vom gleichberechtigten und solidarischen Umgang bereithalten, dennoch ist die Protagonistin darauf angewiesen, im Hier und Jetzt Bündnispartnerinnen, eventuell auch -partner und Freundinnen zu finden.
Das vorliegende Kapitel beginnt mit der Darstellung der Kommunikation sowohl zwischen den Frauen als auch mit den Vertretern des dystopischen Systems. Anschließend werden weitere Aspekte des sozialen und politischen Lebens der Protagonistinnen folgen, denen die utopische Vision, sofern vorhanden, gegenübergestellt werden kann. Die Analyse persönlicher Beziehungen der Protagonistin bildet den nächsten Abschnitt. Ein wesentlicher Aspekt des Lebens der Protagonistinnen ist Sexualität, sowohl unter dem Gesichtspunkt aufgezwungener männerorientierter Zwangsheterosexualität als auch hinsichtlich der Analyse eigener Bedürfnisse und der Entwicklung selbstbestimmter sexueller Aktivität[182].
7.1 Kommunikation in den utopischen Romanen
In der dystopischen Gesellschaft scheint es den Männern gleichgültig zu sein, ob die ihnen gegenübertretende Frau unterlegen, ebenbürtig oder gar, auf welchem Gebiet auch immer, überlegen ist; stets erwarten sie, der Loyalität der Frauen versichert zu werden. Dies läßt Russ in The Female Man auch Jael feststellen, die einem Wachmann an der Grenze zu Manland mehrfach versichern muß: „Of course we’re friends“ (Russ, 1985, S. 169), um überhaupt zu einer vereinbarten Verhandlung eingelassen zu werden. Ähnliche Erfahrungen macht auch Nazareths Mutter Rachel in Native Tongue, als es darum geht, eine Belanglosigkeit von ihrem Ehemann zu erbitten, die ihr eigentlich ohnehin zusteht (vgl. Elgin, 1985, S. 104 ff). Demütigende Situationen müssen von den Frauen schlichtweg ertragen werden; die nächstliegende Möglichkeit ist oft abzuwarten, bis die Männer den Spaß daran verlieren:
„Let it pass. Control yourself. Hand them the victory in the Domination Sweepstakes and they usually forget whatever it is they were going to do anyway“ (Russ, 1985, S. 175),
oder in Nazareths Fall:
„She saw no reason to bear any more of it, but she couldn’t move. Her legs wouldn’t obey her. She sat there while they gasped and laughed and presented one another with ever more elaborate descriptions of what it must have been like when she ‚accosted‘ Jordan, (…) and she was nothing but a bruise twisted round a core of shame; but she couldn’t move“ (Elgin, 1985, S. 200),
oder wie Laur, eine „jüngere Version“ Joannas, es erlebt:
„I couldn’t talk. I couldn’t move. I felt deathly sick. (…) He expected me to start singing ‚I’m So Glad I’m A Girl‘ right there in his Goddamned office.“ (Russ, 1985, S. 67)
Connies Situation in der Psychiatrie ist bereits jenseits jeglicher Möglichkeit, sie zum Ziel des Spotts zu machen: alles, was ihr an negativen Äußerungen seitens der herrschenden Männer entgegengebracht werden kann, sind Ignoranz und Verachtung (vgl. Piercy, 1977, S. 340). Lösungen für Kommunikationsprobleme bestehen hier häufig im Beharren auf dem Machtgefälle zwischen drinnen und draußen, Arzt und Patientin, Schlüssel Besitzenden und Eingesperrten, Mann und Frau (vgl. Piercy, 1977, S. 271 ff). Darüber hinaus werden alle Ansätze der Patienten und Patientinnen, eine funktionierende Kommunikationsstruktur aufzubauen, systematisch zerstört:
„Friendship is suspect, touch prohibited; matches, for example, are unavailable, and communication is always blocked by drugs and regulations“[183].
Obwohl hochqualifiziert in ihrem Gebiet, wird den Frauen der Linien nicht die geringste Kompetenz bezüglich der Bewertung von Sprache zugebilligt (vgl. Elgin, 1988, S. 160), wie auch Cranny-Francis feststellt:
„Elgin’s novel allegorically represents the phallocentricity of language in our own society, the encoding of male experience and masculinity itself as the universal, the normal, the human. The powerlessness of the female linguists signifies the disempowering effect of the exclusion of women from the mechanisms of power validated in language.“[184]
Dies führt ständig zu Mißverständnissen. Nazareth analysiert:
„It is an interesting fact, linguistically, that the most common complaint of Panglish-speaking men toward women in conversation was this sharp question: ‚For god’s sake, will you get to the point?'“ (Elgin, 1988, S. 238)
Die Sprache Utopias bietet in Hinblick auf Gleichberechtigung der Menschen ganz andere Möglichkeiten. Dies stellt auch Janet in The Female Man fest, als sie ihren Interviewer dabei ertappt, wie er männlichen Sprachgebrauch auf whileawayanische Verhältnisse übertragen will:
„Evason is not ’son‘ but ‚daughter‘. This is your translation“ (Russ, 1985, S. 18).
Ein weiteres Beispiel für unterschiedliche gesellschaftliche Strukturen, die sich in der Sprache niederschlagen, ist die Verwendung des Begriffs jemanden kennen: während in den USA schon bei einer Partybekanntschaft möglich ist, von kennen zu sprechen, setzt ebendies in Whileaway tiefere Beziehungen voraus (vgl. Russ, 1985, S. 39 f).
Piercy geht in Hinblick auf die Umsetzung neuer bzw. erwünschter gesellschaftlicher Bedingungen in die Sprache zwar nicht so weit wie Elgin, die eigens eine neue Sprache entwickelt, geht aber weit über Russ‘ Konzept kaum reflektierter Fortentwicklung der alten Sprache hinaus, indem sie geschlechtsneutrale Personalpronomina einführt (vgl. Piercy, 1977, S. 56 ff):
„Piercy emphasizes this elimination of traditional gender roles by her use of the non-specific possessive ‚per‘ in the place of the sex-specific ‚her‘ and ‚his‘; and the noun ‚person‘ instead of the pronouns ’she‘ and ‚he‘. The initial clumsiness of these neologismus is an indication to the reader of the pervasiveness of the gender ideologies which structure our society.“[185]
Über die Abschaffung geschlechtsspezifischer Personalpronomina hinaus führt Piercy eine Reihe weiterer Veränderungen der Sprache ein: Begriffe aus der Telepathie werden aufgenommen; Wörter, die hierarchische Strukturen beschreiben und damit in der neuen Gesellschaft überflüssig geworden sind, fallen weg oder bekommen neue Bedeutungen; andere Begriffe, die die neue Gesellschaft und Politik beschreiben, werden aufgenommen; ein neuer Slang entwickelt sich zur Beschreibung eines veränderten Lebensgefühls[186].
Neue Kommunikationsstrukturen finden sich bei Piercy jedoch nicht nur in der Utopie Mattapoisett, sondern sie werden auch von der Protagonistin in der Dystopie entwickelt. Connie ist in der Psychiatrie diejenige, die unterstützt, hilft, die Unterhaltung aufrechterhält und auf andere eingeht (vgl. Piercy, 1977, S. 146/147). Es gelingt Connie, das Verhältnis zu ihrer Freundin und Leidensgenossin Sybil nicht nur zu fördern, sondern sie kann sich darüber hinaus ihre Souveränität und einen eigenen Standpunkt bewahren (vgl. Piercy, 1977, S. 83/85/192 f). Sie ist in der Lage, Unterschiede zu akzeptieren, ohne dabei zu diskriminieren:
„Oh, Sybil was crazy, but Connie had no trouble talking to her“ (Piercy, 1977, S. 84).
Die Psychiatrie stellt für Connie sogar eine Möglichkeit dar, freier zu sprechen, als dies draußen möglich gewesen wäre, es gibt dort „fewer fences“ (Piercy, 1977, S. 122). In ihrem Umgang mit Mitpatientinnen und Mitpatienten unterscheidet Connie sich deutlich vom Personal der Psychiatrie, für die sprechen gleichbedeutend mit leben zu sein scheint:
„For months Mrs. Martínez had not spoken. The attendants treated her as a piece of furniture. Many of the withdrawn had their own ways of speaking without words to anyone who was open, and Connie never had much trouble figuring out what Mrs. Martínez wanted.“ (Piercy, 1977, S. 82)
Hier leistet die Subkultur der Psychiatriepatientinnen, was die Schulmedizin nicht zu erfüllen in der Lage ist. Analog zur Entwicklung der zwischenmenschlichen Kommunikation erfährt das gesamte Verhältnis zwischen den Patientinnen und Patienten Fortschritte. Als Connie sich von ihrem Mitpatienten Skip verabschiedet, geschieht dies liebevoll, gleichberechtigt und respektvoll (vgl. Piercy, 1977, S. 285). Connie selber ist in der Psychiatrie sogar in intensivere Kommunikationsstrukturen eingebunden als bei ihren Besuchen in Mattapoisett. Dort ist Connie ausschließlich in der Position der Fragenden, der zu Belehrenden und hat keine Chance, eigene Wertvorstellungen zu integrieren.
Die Entwicklung der Frauensprache Láadan in Native Tongue und The Judas Rose ist der weitestgehende Entwurf in Hinblick auf einen neuen Umgang mit Sprache. In starker Opposition zur herrschenden Männersprache entwickelt, impliziert die Erfindung des Láadan eine neue Gesellschaftsordnung:
„The male linguists employ a discourse whose inherent philosophy is elitist and exclusory and which privileges power, deceit and manipulation. In contrast, Elgin’s language aims to include as many women as possible, and the phonetic choices involved in its construction reflect this (…).“[187]
Die Bedeutung des Láadan geht weit über linguistische Einzelphänomene hinaus. Deutlich wird dies anhand der von Miriam Rose zitierten Bibelstelle, in der die göttliche Handlung, einem Gläubigen das Haupt mit Öl zu salben („Thou anointest my head with oil“), übertragen wird in „Thou braidest my hair with Thine own hands“ (Elgin, 1988, S. 210). Miriam Rose erläutert den Priestern die Änderung:
„First, it was necessary to render the sense of Our Lord performing some act that would be an honor to a human being. (…) A woman would not wish to be anointed with oil. That would be a messy procedure, you see; afterward, she would have to wash her hair, and probably her clothing as well, since drops of oil would inevitably trickle slowly down. … If God were anointing you with oil, even a very small quantity of oil, you could hardly avoid that. It would not be respectful, or worshipful, to avoid it.“ (Elgin, 1988, S. 211)
„I would consider it an inexpressible honor if divine hands were to braid my hair. It is an intimate service, and one that demands closeness. (…) The braiding of hair is not something that men do in our world. Or know how to do.“ (Elgin, 1988, S. 212)
Die Notwendigkeit der Frauensprache Láadan leitet sich vor allem aus der Unmöglichkeit her, den Frauen der Linien wichtig erscheinende Sachverhalte im Standard-Panglish auszudrücken, wie Nazareth feststellt:
„There was the word ‚love‘; it was almost impossible in Panglish to say which of the many subtle and different kinds of love was the one you felt toward someone in less than ten minutes.“ (Elgin, 1988, S. 237)
7.2 Das soziale Umfeld der Protagonistin – ihr privates und öffentliches Leben
Das soziale Leben der Protagonistinnen in der Dystopie ist „male identified“[188]; es ist geprägt von den ausgesprochenen und unausgesprochenen Ansprüchen von Männern sowohl im individuellen als auch im öffentlichen Leben. Joanna beschreibt in The Female Man, wie ihr ganzes Leben auf Männer ausgerichtet war, bis Janet von Whileaway kam (vgl. Russ, 1985, S. 29). Am stärksten betroffen ist sicherlich Jael, die in einem permanenten Kriegszustand lebt, der auf die jahrhundertelange Unterdrückung von Frauen durch Männer zurückzuführen ist[189]. Während Jael die direktesten Auswirkungen und Folgen zu tragen hat, ist die Unterdrückung, der Jeannine ausgesetzt ist, zwar subtiler, aber dadurch nicht weniger beklemmend:
„There is some barrier between Jeannnine and real life which can be removed only by a man or by marriage; somehow Jeannine is not in touch with what everybody knows to be real life.“ (Russ, 1985, S. 120)
Jeannine ist über längere Strecken des Buches hinweg unglücklich und planlos. Sie kann sich nicht entscheiden, was sie will: leben, sterben, einen Mann, einen Beruf, bis der Entschluß feststeht: „I want to get married“ (Russ, 1985, S. 126). Am Beispiel Joannas wird deutlich, welche Auswirkungen es hat, wenn eine unabhängige Identität nur für Männer vorgesehen ist. Als Jugendliche war sie verzweifelt auf der Suche nach irgend etwas
„(…) to tell me self-love was all right, to tell me I could love God and Art and Myself better than anything on earth and still have orgasms“ (Russ, 1985, S. 205).
Geschlechtsspezifisches Verhalten wird als Phänomen zwar auch von Männern in den untersuchten Utopien zur Kenntnis genommen, diese kommen jedoch kaum auf die Idee, deshalb an sich selbst zu zweifeln, sondern erklären lieber die Frauen für minderbemittelt, wie Thomas Chornyak in Native Tongue:
„(…) it made him wonder what in the name of heaven really went on inside their heads.“ (Elgin, 1985, S. 103)
„The women had a sly animal cleverness that served them well (…).“ (Elgin, 1985, S. 102)
„In the poverty of their perceptions, prevented by nature itself from ever having more than a distorted image of reality, women might very well create for themselves a picture that included nothing but the parts of reality they enjoyed looking at.“ (Elgin, 1985, S. 96/97)
Die Bereitschaft der Männer, sich selbst ernstzunehmen und dafür die Wahrnehmungen der Frauen in Frage zu stellen, ist in den untersuchten Texten ständig präsent. Dies findet insofern Entsprechung im Verhalten von Frauen, als auch diese bereit sind, die Männer ernstzunehmen und an sich selbst zu zweifeln. Connie beispielsweise geht in Woman on the Edge of Time selbstverständlich davon aus, daß sie Lucientes Besuch nur halluziniert oder geträumt hat, ihr kommt gar nicht in den Sinn, ihre eigenen Wahrnehmungen ernstzunehmen. Als Luciente schließlich Realität wird, hält Connie diese konsequenterweise für verrückt (vgl. Piercy, 1977, S. 31/33/40). Diese Reaktion ist nicht nur auf Connies Erfahrungen mit der Psychiatrie zurückzuführen. Die Erfahrungen, die sie nach ihrer Einweisung macht, sind nur stellvertretend für die anderer Frauen, die ein „normales“ und vermeintlich ausgefülltes Leben als Ehefrau und Mutter führen. Als Connie anläßlich eines Besuches bei ihrem Bruder mit dessen Ehefrau und mit ihrer Nichte zusammentrifft, muß sie feststellen:
„We are not three women (…). We are ups and downs and heavy tranks meeting in the all-electric kitchen and bouncing off each other’s opaque sides like shiny pills colliding.“ (Piercy, 1977, S. 359)
Mit solchen Beispielen wird in den Romanen dargestellt, auf wie stark schwankendem Boden Frauen in der von Männern bestimmten Ausgangsgesellschaft stehen, und wie wenig sie als vereinzelte Individuen in der Lage sein können, sich auf etwas unsicheres Neues einzulassen. Dem wird auf einer anderen Ebene des Romans die utopische Gesellschaft gegenübergestellt, in der Frauen selbstverständlich nach ihren Bedürfnissen und Interessen leben können, ohne daß sie jemals in die Verlegenheit kommen, die Legitimität ihrer Existenz als Frau, Mensch oder Individuum in Frage zu stellen. Beispielhaft sei hier nur die utopische Gesellschaft Whileaways in The Female Man genannt:
„There’s no being out too late in Whileaway, or up too early, or in the wrong part of town, or unescorted. You cannot fall out of the kinship web and become sexual prey for strangers, for there is no prey and there are no strangers – the web is world-wide.“ (Russ, 1985, S. 81)
Elgin verzichtet völlig auf die Darstellung einer utopischen Gesellschaft als Gegensatz zur dystopischen Gegenwart des Romans. Der Schwerpunkt in der Umsetzung eines wünschenswerteren Zusammenlebens liegt in der Solidarität und Verantwortlichkeit füreinander, die Frauen auch unter schwierigen Bedingungen bereits in der Gegenwart schaffen. Stellvertretend für andere wird in diesem Zusammenhang Belle-Charon Adiness Chornyak genannt: „She was most emphatically her sister’s keeper“ (Elgin, 1988, S. 299). Die älteren Frauen fühlen sich auch keineswegs dadurch diskriminiert, daß sie Barren House wohnen, im Gegenteil:
„It was such a blessen relief, moving over to Barren House! (…) I agree with you that the name of the place left a lot to be desired – but then, my dear, it was the men who did the naming. It wouldn’t have been at all tactful for the women to ask them to change it to something like ‚Paradise On Earth House‘, would it?“ (Elgin, 1988, S. 119)
Nazareth fühlt sich bei ihrem Umzug ins Barren House nach ihrer Ehe wie „someone who goes home at last after a lifetime of exile“ (Elgin, 1985, S. 243). Die Bedeutung der Barren Houses nicht nur als Gegengesellschaft, sondern ebenso zur Erschaffung einer Gegenkultur stellt auch Armitt heraus:
„(…) Barren House is the place where the spark of subversion is kindled, and where the seclusion of this community transforms isolation into refuge, women coming to value and care for each other as individuals. The importance of language as a power base is no secret to these linguists, and the primary task becomes to craft carefully and lovingly a women’s language that will aim to place their concerns at its centre.“[190]
Alle Gesellschaftsformen, die die Autorinnen der untersuchten Romane entwickelt haben, seien es Russ‘ Whileaway, Piercys Mattapoisett oder Elgins Barren Houses, haben basisdemokratische Strukturen gemeinsam: jeder Mensch ist genauso wertvoll wie jeder andere, Meinungen und Ideen werden ernst genommen, geprüft, diskutiert und vor allem begrüßt. Insbesondere gelingt es den Bewohnerinnen und Bewohnern der alternativen Gesellschaften, die in der Ausgangsgesellschaft gängige starre Trennung von Individuum und Gesellschaft genauso aufzuheben wie die Trennung von Politik und gesellschaftlichem Leben[191].
7.3 Persönliche Beziehungen der Protagonistin
Inwieweit das utopische Ideal das soziale Umfeld der Protagonistin verändern kann und soll, wurde im vorangegangenen Abschnitt gezeigt. Nun hat aber speziell die Protagonistin die Aufgabe, diese Veränderungen zu bewirken: es sind nicht nur ihr Beispiel und ihre Strategie, die eine Wende zum Besseren hervorrufen, sondern sie ist darüber hinaus die Person des Romans, an der die Schlüssigkeit des utopischen Entwurfs exemplarisch dargestellt wird. Sie zeigt, wie Beziehungen zwischen Menschen im Einzelfall strukturiert sein werden.
Bei Russ und Piercy liegt der Schwerpunkt der Darstellung veränderter Umgangsformen der Protagonistin in deren utopischen Pendants; Luciente zeigt, wie Connie unter veränderten Bedingungen sein könnte, und Janet gibt ein Beispiel für die Möglichkeiten und Chancen, die Jael, Jeannine oder Joanna haben könnten. Piercys Mattapoisett ist von allen dargestellten Alternativen diejenige mit den wenigsten Konflikten. Luciente lebt in harmonischem Miteinander in ihrer Umwelt, sie wird von dieser ernstgenommen und gibt die Wertschätzung, die ihr entgegengebracht wird, bereitwillig an ihre Mitmenschen zurück. Kooperation und Solidarität kommen in den Familienstrukturen Mattapoisetts zum Ausdruck:
„Parenting, not pair-bonding, is the basis of these families.“[192]
Familienverbände im Sinne von Blutsverwandtschaft existieren nicht mehr, daher lebt Luciente mit mems zusammen (vgl. Piercy, 1977, S. 57); Menschen, die gemeinsam ein Kind aufziehen, sind comothers, egal, welchen biologischen Geschlechts sie sind (vgl. Piercy, 1977, S. 74). Die Sexualmoral hat sich geändert. Besitzansprüche gegenüber Personen sind illegitim, es wird nur von hand friends und pillow friends gesprochen (vgl. Piercy, 1977, S. 72). Diese allumfassende Harmonie hat zur Folge, daß Konfliktverhalten in Mattapoisett nicht gelernt wird, zumindest ist dies innerhalb des Romans nicht thematisiert. Luciente ist außerstande, mit ambivalenten Gefühlen umzugehen. Positive Aspekte von Streit, beispielsweise das Zeigen „negativer“ Gefühle, wie Wut, Aggression oder Verletztheit, stehen in Lucientes Verhaltensrepertoire nicht zur Verfügung. Als Luciente Schwierigkeiten damit hat, daß ihr pillow friend Jackrabbit einen anderen pillow friend neben ihr hat, kann sie die sich für sie daraus ergebenden Schwierigkeiten nicht allein mit den betroffenen Personen klären, sondern es muß eine Ergründung, ein worming abgehalten, werden, in dem eine Schiedsrichterin die Auseinandersetzung leitet (vgl. Piercy, 1977, S. 207 ff).
Connies Persönlichkeit ist dagegen vielschichtiger aufgebaut. Sie setzt sich solidarisch mit anderen Benachteiligten der Gesellschaft auseinander, ohne auf ein Übermaß an Harmonie angewiesen zu sein, und hat auf der anderen Seite Strategien entwickelt, die es ihr erlauben, in Streit- und Konfliktsituationen variabel zu reagieren: Widerspruch und Protest (vgl. Piercy, 1977, S. 30; 13), Unterwürfigkeit und Gehorsam (vgl. Piercy, 1977, S. 14) oder Einlenken und Nachgeben (vgl. Piercy, 1977, S. 216). Connie entwickelt ihr Konfliktverhalten im Verlauf des Romans. Hier spielt das Verhältnis zu Luciente eine wichtige Rolle: obwohl Connie in dieser Hinsicht kaum direkt von Luciente lernen kann, ermöglicht ihr die Gesamtheit der Erfahrungen, die sie in Mattapoisett macht, eine positive individuelle Umsetzung der neu erworbenen Stärke nach eigenen Maßgaben.
Das Verhältnis zu ihrem ersten Ehemann Martín unterlag noch einem Harmonie-Ideal, das wesentlich zu Lasten Connies verwirklicht wurde. Sie sprach nur, wenn sie gefragt wurde und zensierte ihre eigenen Aussagen, um Martín nicht zu verärgern (vgl. Piercy, 1977, S. 243). Wenngleich in der Connie umgebenden Gesellschaft Gewalt gegen Frauen normal und üblich ist, ist Connie Jahre später nicht mehr bereit, dies unhinterfragt hinzunehmen, wie ein Gespräch mit ihrer Nichte Dolly zeigt:
„How can you care about him with your face still swollen from his beating?“
„‚He is my man,‘ Dolly said, shrugging. ‚What can I do?'“ (Piercy, 1977, S. 24)
Diese Unterhaltung zwischen Connie und Dolly findet statt, bevor Connie Luciente kennenlernt. Zu Beginn ihrer Bekanntschaft mit Luciente ist sie noch weitaus ergebener Männern gegenüber, als sie es später ist. Zunächst hält sie Luciente wegen deren selbstbewußter Körpersprache für einen Mann und reagiert entsprechend:
„She did not care. Passive. Receptive. Here she was, abandoning herself to the stronger will of one more male. Letting herself be used (…). It could only be bad.“ (Piercy, 1977, S. 52)
Das Verhältnis zwischen den beiden verändert sich schlagartig, als Connie feststellt, daß Luciente eine Frau ist: „Connie no longer felt in the least afraid of Luciente“ (Piercy, 1977, S. 67). Sie entwickelt die Fähigkeit, nicht unterwürfig auf Zuwendung zu warten oder diese kläglich zu erbitten, sondern sie fordert. Dabei ist ihr durchaus klar, daß dies Luciente einschränkt:
„Sometimes she pitied Luciente for lighting on her, when what did she know?“ (Piercy, 1977, S. 235).
Auch bei ihrer Flucht aus der Psychiatrie nimmt Connie wie selbstverständlich Lucientes Hilfe in Anspruch (vgl. Piercy, 1977, S. 239 ff).
Die Protagonistinnen in The Female Man strukturieren ihre Sozialbeziehungen völlig unterschiedlich. Als Jael reich geworden ist, kopiert sie die Werte der Männergesellschaft mit umgekehrten Vorzeichen für ihr eigenes Leben. Sie legt sich ein schönes Haus zu und dazu – als devotes Spielzeug – den Androiden Davy, „the most beautiful man in the world“ (Russ, 1985, S. 185, vgl. 184 ff)[193]. Joanna dagegen stürzt sich geradezu begeistert auf die Möglichkeit, Frauenfreundschaften zu entwickeln, die die bisherige ausschließliche Männerbezogenheit ablösen, als Janet in ihr Leben tritt:
„Then a new interest entered my life. After I called up Janet, out of nothing, or she called up me (don’t read between the lines; there’s nothing there) I began to gain weight, my appetite improved, friends commented on my renewed zest for life, and a nagging scoliosis of the ankle that had tortured me for years simply vanished overnight.“ (Russ, 1985, S. 29)
Im Gegensatz zu Jael ist Joanna durch die personifizierte Utopie, die Janet darstellt, in der Lage, ihre Prioritäten zu ändern und eine neue Art von Beziehung aufzubauen. Die Freundschaft zwischen Joanna und Janet ist dabei keineswegs konfliktfrei, darin liegt auch nicht ihr Sinn, aber Joanna kann im gesellschaftlichen Mikrokosmos wenigstens einer sozialen Beziehung einen Vorgeschmack auf das Leben in einer gleichberechtigten Gesellschaft erleben. Janet, die diese Veränderung bemerkt, orientirt ihre Sozialbeziehungen zu Hause in Whileaway ausschließlich an ihren Interessen; gesellschaftliche Zwänge existieren in dieser Hinsicht dort nicht. Sie darf streiten, ohne Sanktionen zu befürchten (vgl. Russ, 1985, S. 49), es existieren kaum gesellschaftliche Tabus (vgl. Russ, 1985, S. 52), Kinder gehorchen grundsätzlich nicht (vgl. Russ, 1985, S. 100). Im Rahmen der Sozialbeziehungen Janets sind Streit und Kampf völlig normal, jedoch nur unter Bekannten, nicht mit Fremden, und Duelle werden unter sportlichen Gesichtspunkten gesehen, haben aber durchaus tödlichen Ausgang (vgl. Russ, 1985, S. 2/47/48).
Streit mit ernstzunehmenden, aber nahestehenden Gegnern oder Gegnerinnen ist auch für Jael wichtiger Bestandteil ihres Lebens. Eine ihrer Richtlinien für Attentäterinnen lautet:
„Pray often. How else can you quarrel with God?“ (Russ, 1985, S. 191).
Nazareth Chornyaks persönliche Beziehungen werden über das in vorangegangenen Kapiteln Beschriebene hinaus nicht explizit thematisiert. Nazareth hat sicherlich zu einigen ihrer Mitstreiterinnen engere Beziehungen als zu anderen, wird jedoch von Elgin kaum für konkrete Beispiele herangezogen. Ihre Funktion ist eher die der großen Strategin, die maßgeblich zur Überwindung der Dystopie beiträgt und die insofern kaum Muße findet, die neuen Möglichkeiten zu genießen, als ihr Leben der Arbeit („one shovel at a time“) gewidmet ist (vgl. Elgin, 1988, S. 291). Die veränderten Sozialbeziehungen innerhalb der Subgesellschaft der Frauen werden an den Beispielen anderer Frauen beschrieben. So sind beispielsweise ständig kleine Mädchen da, die mit den alten Frauen im Barren House sprechen, sich um sie kümmern und mit ihnen Sprachen üben (vgl. Elgin, 1985, S. 207). Die Verwendung des Láadan bewirkt auch insofern eine Veränderung der Beziehungen der kleinen Mädchen der Linien untereinander, als ihr Verhältnis zueinander näher wird (vgl. Elgin, 1985, S. 267).
Holland-Cunz stellt in Hinblick auf feministische Entwürfe utopischer Gesellschaft insgesamt fest, daß die Sozialbeziehungen der Menschen sich verändern, die Freundschaft unter Gleichen löst gesellschaftliche Institutionen wie Verwandtschaft und Ehe ab, Freundschaften zeigen eine verbindliche Kontinuität[194].
7.4 Sexualität und Erotik
Der Entwurf neuer Orientierungen und Möglichkeiten im Bereich Sexualität und Erotik in der Utopie stellt eine Kritik an der Liebe dar, wie sie in der heutigen Gesellschaft gelebt wird. In der dystopischen Ausgangsgesellschaft sind Werte, die der Einstellung von Männern zur Liebe zugrundeliegen, solche wie Beherrschung und Machtlust. Für Frauen dagegen beinhaltet männlich definierte Liebe Unterwürfigkeit, Mißtrauen und Hinterlist[195].
Nazareth Chornyaks Potential von Liebe wird spätestens völlig zerstört, als sie neunzehn Jahre alt ist. Sie lernt Jordan Shannotry kennen, einen anderen Linguisten (vgl. Elgin, 1985, S. 178 ff), verliebt sich in ihn, weil er sehr viel freundlicher und höflicher ist als ihr Ehemann (vgl. Elgin, 1985, S. 192 ff), und gesteht ihm ihre Liebe (vgl. Elgin, 1985, S. 194). Dies teilt er sogleich Nazareths Vater mit (vgl. Elgin, 1985, S. 196), der, gemeinsam mit ihrem Ehemann, sie heftig verspottet und ernst verwarnt (vgl. Elgin, 1985, S. 196 ff). Aus dieser Erfahrung zieht Nazareth ihre Konsequenzen:
„Nazareth was never again to feel even the smallest stirring of affection, or even of liking, for any male past toddling age. Not even for her own sons.“ (Elgin, 1985, S. 202)
Die von den Männern in The Judas Rose bestimmte Sexualität beschränkt sich auf technische Aktivitäten, die sie mit ihren Ehefrauen in sogenannten rendezvous rooms zelebrieren (vgl. Elgin, 1988, S. 61). Die Männer sind von Sexualität in ebenso großem Maß verunsichert, wie die Frauen von ihr angewidert sind: sie vergewissern sich ständig der Loyalität ihrer Ehefrauen in Hinblick auf ihre standardisierten Sexualpraktiken (vgl. Elgin, 1988, S. 300). Die Frauen der Linien partizipieren am Geschlechtsverkehr mit ihren Männern nur noch durch physische Anwesenheit und entziehen sich jeglicher emotionaler Beteiligung. Sie hoffen, damit erreichen zu können, daß die Männer, sollte es ihnen jemals auffallen, lernen, die sexuellen Beziehungen für alle Beteiligten attraktiver zu gestalten (vgl. Elgin, 1988, S. 297 f).
Einige der Frauen der Linien leiden ernsthaft unter der Situation, die ihnen die Befriedigung eigener sexueller Bedürfnisse verwehrt, zumal Masturbation, wie Belle-Charon feststellt, auf die Dauer keine befriedigende Lösung ist (vgl. Elgin, 1988, S. 297 f). Gerade unter den geschilderten Bedingungen ist es unerklärlich, weshalb die Frauen der Linien nicht spätestens in dieser Situation sexuelle Beziehungen untereinander beginnen. Lesbische Beziehungen werden bei Elgin jedoch weder als Beispiel für selbstbestimmte Sexualität noch als Notlösung genannt. Lediglich bei den älteren Frauen, die im Barren House leben, ist zumindest die Andeutung von Erotik in Form von Liebe und Solidarität füreinander erwähnt,
„(…) their devotion to one another, not just to the invalids who might have called to any woman’s compassion but devotion even to the most irritating among them (…)“ (Elgin, 1985, S. 213).
Auf eben diese Art von Fürsorglichkeit und Hingabe bezieht sich Rich, wenn sie schreibt:
„If we consider the possibility that all women (…) exist on a lesbian continuum, we can see ourselves as moving in and out of this continuum, whether we identify ourselves as lesbian or not.“[196]
Bis auf Jeannine, die stärker als die anderen Js in konventionellen Zwängen verharrt (vgl. Russ, 1985, S. 16), entwickeln die Protagonistinnen in The Female Man Formen sexuellen Verhaltens, die an ihren eigenen Interessen orientiert sind. Jael hält sich Davy als Sexobjekt (vgl. Russ, 1985, S. 185), Janet hat ohnehin nie die beklemmenden Auswirkungen gesellschaftlich verordneter Zwangsheterosexualität kennengelernt, und Joanna stellt das ihr diesbezüglich aufgezwungene Ideal im Verlauf des Romans in Frage (vgl. Russ, 1985, S. 208 f). Die Verschiedenheit der Entwicklung in Hinblick auf Sexualität wirft nach Farley eine wesentliche Frage auf:
„Ist es für eine, die sich als Jedefrau empfindet, möglich, Lesbianismus aus der ‚Unwirklichkeit‘ oder Phantasie in die ‚Wirklichkeit‘ zu verlagern? Der Roman beschreibt die Momente des Kampfes.“[197]
Im Gegensatz zu Russ, in deren utopischer Gesellschaft Whileaway keine Männer vorkommen, weil ein beide Geschlechter umfassendes Konzept für sie derzeit nicht realistisch ist[198], beinhaltet Piercys Utopie den Versuch, die Aufhebung von Geschlechterrollen auch in bezug auf Sexualität darzustellen:
„All coupling, all befriending goes on between biological males, biological females, or both. That’s not a useful set of categories. We tend to divvy up people by what they’re good at and bad at, strengths and weaknesses, gifts and failings.“ (Piercy, 1977, S. 214)
In Connies dystopischer Gegenwart sind unterschiedliche Formen von Sexualität in jedem Fall in klar umrissene Schemata gepreßt. Connies Mitpatientin Sybil beispielsweise wird als lesbisch eingeordnet, obwohl sie lediglich die mangelnden Möglichkeiten, weibliche Sexualität auszuleben, kritisiert und für sich die Konsequenz gezogen hat, überhaupt kein aktives Sexualleben zu haben:
„Who wants to be a hole? (…) Do you want to be a dumb hole people push things in or rub against? As for sex, it reminded me of going to the dentist the only time I indulged.“ (Piercy, 1977, S. 85)
Laur, in The Female Man eine Art jüngere Ausgabe Joannas, sieht für sich die Ausweglosigkeit, die sich aus der Entscheidung ergibt, entweder sich den herrschenden männlich definierten Normen anzupassen und gesellschaftlich anerkannt zu sein oder auf der anderen Seite um den Preis der Akzeptanz ihrer Person durch ihre Umwelt eigene, selbstbestimmte Wege zu gehen. Sie schildert ihren Konflikt:
„I’ve never slept with a girl. I couldn’t. I wouldn’t want to. That’s abnormal and I’m not, although you can’t be normal unless you do what you want and you can’t be normal unless you love men. To do what I wanted would be normal, unless what I wanted was abnormal, in which case it would be abnormal to please myself and normal to do what I didn’t want to do, which isn’t normal.“ (Russ, 1985, S. 68)
Auch Joanna stellt fest, daß sie, wenn sie lesbisch ist, sich eines Teils ihrer Probleme entledigt, wenngleich sie sich andere damit aufhalst. In Laurs Fall wird der Konflikt dadurch gelöst, daß sie sexuelle Ambitionen gegenüber Janet entwickelt und diese in der Folge regelrecht verführt. Dies geschieht nicht ohne Schwierigkeiten, ist aber, im nachhinein betrachtet, ein für Laur adäquater Einstieg in den Prozeß, zu selbstbestimmter Sexualität zu finden:
„It was incompletely and desperately inadequate, but it was the first major sexual pleasure she had ever received from another human being in her entire life.“ (Russ, 1985, S. 74)
Russ stellt in The Female Man immer wieder die Verantwortung heraus, die Personen in Hinblick auf ihr eigenes Sexualleben und das anderer haben. Verantwortlicher Umgang mit sich selbst in jeder Hinsicht ist für Russ Voraussetzung für ebenso verantwortlichen Umgang mit anderen. Das betrifft deswegen ganz besonders den Bereich von Sexualität und Erotik, weil ein selbstbestimmter Umgang hiermit für Frauen Neuland ist, wenn sie in ihrem bisherigen Leben in jeder relevanten Hinsicht fremdbestimmt, sprich: männerbestimmt, waren. Daß dies nicht in jeder Gesellschaft so sein muß, wird wiederum am Beispiel Whileaways deutlich: hier orientiert sich die Sexualität jeder einzelnen an ihren individuellen Bedürfnissen, und zwar von der Jugend an:
„Sexual relations – which have begun at puberty – continue both inside the family and outside it, but mostly outside it. Whileawayans have two explanations for this. ‚Jealousy,‘ they say for the first explanation, and for the second, ‚Why not?'“ (Russ, 1985, S. 52)
Daß von den eigenen Bedürfnissen gesteuerte Sexualität alle anderen relevanten Lebensbereiche bestimmt, erklärt Joanna ironisch, fast sarkastisch der vergleichsweise schüchternen, zurückhaltenden, angepaßten Jeannine, als diese auf Janets Bett ein Vibrator-ähnliches Gerät findet, wie es in Whileaway häufig und gern benutzt wird:
„What it does to your body (…) is nothing compared to what it does to your mind, Jeannine. It will ruin your mind. It will explode in your brains and drive you crazy. You will never be the same again. You will be lost to respectability and decency and decorum and dependency and all sorts of other nice, normal things beginning with a D. It will kill you, Jeannine. You will be dead, dead, dead.
Put it back.“ (Russ, 1985, S. 148)
Zusammenfassend bleibt zu sagen, daß bei aller Unterschiedlichkeit der Entwürfe für eine neue, den Interessen von Frauen gerecht werdende Sexualität den untersuchten Werken eines gemeinsam ist: die scharfe Kritik an den in der Ausgangsgesellschaft herrschenden Verhältnissen. Die Umsetzung der sich daraus ergebenden Forderungen findet auf verschiedene Weise statt: bei Elgin taktieren die Frauen auf Umwegen und hoffen darauf, daß die Männer sich bessern, Piercy entwickelt eine Gesellschaft, in der die sexuelle Hierarchie analog der gesellschaftlichen Hierarchie aufgehoben ist, und Russ betont die Möglichkeit, selbstbestimmte Sexualität unabhängig von männlicher Beteiligung auszuleben. Ein wichtiges Thema ist Sexualität als Teil einer kritisch hinterfragten Gegenwart jedoch bei allen drei Autorinnen.
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[182] vgl. Holland-Cunz, 1988, S. 94
[183] Bartkowski, 1991, S. 63
[184] Cranny-Francis, 1990, S. 47
[185] Cranny-Francis, 1990, S. 135
[186] vgl. Moylan, 1990, S. 148
[187] Armitt, 1991, S. 134
[188] vgl. Kapitel 2.2
[189] vgl. Kapitel 6.1 und 6.2
[190] Armitt, 1991, S. 132/133
[191] vgl. Devine, 1988, S. 135 in bezug auf Piercy
[192] Bartkowski, 1991, S. 76
[193] Zumindest kann nach der technischen Beschreibung, die Russ gibt, Davy nur ein Android sein. Ein Android ist ein künstliches Wesen, das aussieht wie ein Mensch (oder wie eine andere gewünschte dem jeweiligen Text zugrundeliegende Spezies). Es ist aus biologischen und elektronischen bzw. mechanischen Teilen zusammengesetzt, jedoch überwiegen häufig die biologischen Bauteile. Zur Definition vgl. auch Alpers u.a., 1982, S. 283/285/286.
[194] vgl. Holland-Cunz, 1988, S. 319
[195] vgl. Holland-Cunz, 1988, S. 157
[196] Rich, 1986, S. 25
[197] Farley, 1986, S. 192/193
[198] vgl. Kapitel 5.1
Übersicht „Heldin in der Welt von morgen“
- Teil 01 – Einleitung (1992)
- Teil 02 – Voraussetzungen / Definitionen
- Teil 03 – feministische Literaturwissenschaft
- Teil 04 – Geschichte feministischer Utopien
- Teil 05 – Die Romane
- Teil 06 – Gesellschaft und Widerstand
- Teil 07 – Soziales und politisches Umfeld
- Teil 08 – Die neue Gesellschaft formen
- Teil 09 – Zukunftsplanung oder Vision
- Teil 10 – Literaturverzeichnis